Über die Erde
sollst du barfuß gehen.
Zieh die Schuhe aus,
Schuhe machen dich blind.
Kannst doch den Weg
mit deinen Zehen sehen.
...
Sollst mit deinen Sohlen
die Steine berühren,
mit ganz nackter Haut.
Dann wirst du bald spüren,
dass dir die Erde vertraut.
Spür das nasse Gras
unter deinen Füßen
und den trockenen Staub.
Lass dir vom Moos
die Sohlen streicheln und küssen
und fühl
das Knistern im Laub.
...
Leg deine Wange an die Erde,
riech ihren Duft und spür, wie aufsteigt aus ihr
eine ganz große Ruh.
Und dann ist die Erde
ganz nah bei dir
und du weißt:
Du bist ein Teil von allem
und gehörst dazu.

(nach Martin Auer)

2019 August Manuelas  Fuesse barfuss  14 tage 01

14 Tage barfuss - ein kurzes Leben in 3D

Ich mache Sommerurlaub auf einer kleinen, holländischen Nordseeinsel und ergreife die Gelegenheit, 14 Tage barfuss zu gehen - ausschliesslich.
Was macht das mit mir? Machen meine Füsse bzw. Fusssohlen das überhaupt mit?

Ich bin erstaunt.

Ich wohne auf einem Schiff im Jachthaven. Die alltäglichen Dinge, wie Duschen, zur Toilette gehen oder Trinkwasser holen, sind mit einem Gang zu den Waschräumen verbunden. Mehrfach am Tag gehe ich also 600m über Kunststoff-Stege, Klinkerwege und Fliesenböden hin und zurück.
Ich habe Glück, das Wetter ist 2 Wochen lang aussergewöhnlich warm und trocken.

Zu Fuss ins Dorf

Mindestens einmal am Tag wandere ich ins Dorf. Hin 1,2km durch den Wald auf Waldboden-Wegen, häufig dick gepolstert mit langen, spitzen Fichtennadeln und mächtigen Tannenzapfen. Der Waldboden in Schattenlage ist kühl und weich. Wenn an Wegkreuzungen die Beschattung der Bäume fehlt, wird es direkt unangenehm warm, hart und pieksig unter der Fusssohle.
Im Dorf sind die Wege mit Klinkersteinen und Kopfsteinpflaster ausgekleidet. Sehr angenehm für den Fuss, Schmeichel-Steine geradezu. Deutlich nehme ich den steten Temperaturunterschied wahr zwischen Steinen in Schattenlage der Häuschen und solchen in Sonnenexposition. Der Wechsel erinnert an eine Kneipp-Kur.
Zurück zum Jachthafen gehe ich am Watt entlang auf einem gepflasterten Weg. Durch stetige Überströmungen des kleinen Deiches ist der Weg übersäht mit zertretenen Muschelschalen. Eine Herausforderung, meiner innewohnenden Koordinationsfähigkeit zu vertrauen und wacker voranzuschreiten.

Barfuss auch im Dunkeln?

Es trug sich zu, dass ich am 8. Tag meines Experiments erst spät vom Dorf zurück zum Schiff ging. Der Weg am Watt entlang hat keinerlei Beleuchtung. Ich hatte meine Treckingsandalen eines bekannten Herstellers mit Wolfstatze mitgenommen und, als die letzte Strassenlaterne hinter mir lag, auch angezogen. Sofort waren die alten Gewohnheiten eines „Fusses mit Schuh“ präsent, sowohl am Fuss selbst als auch beim Gehen.

Am nächsten Morgen habe ich Fussschmerzen. Der Spann und der ganze Vorderfuss sind unangenehm hart und schmerzen. Das legt sich zum Glück bei der ersten Wanderung des Tages. Ich messe dem Vorfall keine weitere Bedeutung bei.

Zwei Tage später – gleiches Spiel. Wieder trage ich meine Sandalen für den nachtschwarzen Weg zum Jachthafen. Wieder habe ich Fussschmerzen am Morgen danach. Jetzt mache ich mir Gedanken! Kann es sein, dass das doch so kurze Tragen der Sandalen meinen Fuss bereits derart stark in Mitleidenschaft zieht?

Beim nächsten Mal verzichte ich auch im Dunkeln auf Schuhwerk!

Und siehe da, „es läuft“ sich besser und fliessender als bei Tageslicht, trotz Muschelsplittern. Und am nächsten Morgen – keinerlei Fussprobleme!
Den Boden nicht sehen zu können und die Muskeln NICHT in voraus„sehendem“ Kontrollzwang anzuspannen, hat sich als Vorteil erwiesen! Das erinnerte mich an eine Erfahrung während meiner Alexander-Technik-Ausbildungszeit. Wir machten eine Tageswanderung in der Eifel – mit Wanderschuhen! An einer Kreuzung im Wald war ein Weg mit sehr grobem Schotter neu ausgelegt worden. Die Steine waren faustdick und grösser. Zunächst gingen wir „ganz normal“ etwa 10m über den Schotterweg und wieder zurück. Es war mühsam, das Gleichgewicht zu halten auf den wackeligen Steinen.
Dann begann das Experiment: wir taten uns zu zweit zusammen, eine Person schloss die Augenlider und ging, geführt von der sehenden Person, blind über die Steine. Ganz erstaunlich, der Gang war wesentlich stabiler und sicherer als mit Augenlicht! Eine tolle Erfahrung und erklärbar durch die uns angeborene Koordinationsfähigkeit, die zum tragen kommen kann, wenn wir uns nicht einmischen u.a. in die Art, wie der Fuss aufkommen möchte und die Balance nach oben hin steuert.

10km Strandwanderung

Hier am Strand bin ich keine Aussenseiterin mit meinen blossen Füssen. Ich nutze den wunderbar sanften Grund und achte vermehrt auf meine Beinbewegungen. Woher nehme ich den Vortrieb? Kann ich beide Beine beim Schreiten unter meinem Rumpf lassen? Sind meine Fussgelenke frei beweglich? Kann ich es lassen mich einzumischen, wie der Fuss aufsetzen möchte? Welchen Fussabdruck hinterlässt welche Art zu gehen? Ich experimentiere fortdauernd.

3h Inselwanderung – Futter für den Geist!
Am spannendsten ist die dreistündige Wanderung quer über die Insel. Ich merke, dass ich am Ende der Wanderung geistig an meine Grenzen gestossen bin. Ich will mich nur noch still hinsetzen.
Das finde ich verblüffend. Nicht der Zustand meiner Füsse oder Fusssohlen hat mich begrenzt, sondern mein Geist.

Und das kam so: Bei der Inselwanderung war die Varianz an Untergründen, die ich auf blossen Sohlen zu bewältigen hatte, enorm: trocken oder feucht, warm oder kühl, hart oder weich, nachgiebig oder widerborstig. Pflastersteine auf Strassen, Splitt oder Muschelsplitt auf Gehwegen, Sand in allen Sorten und Lagen, Wiese in der Sonne und im Schatten, Waldboden unterschiedlicher Baumarten, … Aspekte, die ich sonst „nur“ mit meinem Intellekt erfasse, wie z.B., dass ein Mischwald einen anderen Boden erzeugt als ein reiner Kiefernwald - barfuss ist das direkt erlebbar.

Eine Erfahrung in 3D.

Zwischen den Waldgebieten und den Dünenketten am Meer liegt eine sanfte, sonnenbeschienene Hügellandschaft mit kurzem, struppigem und häufig dornigem Bewuchs auf ausgetrocknetem, hartem Boden. Mit jedem Schritt droht Ungemach. Diese ungewissen (und potentiell schmerzhaften) Situationen zwangen mich zu fortwährender Präsenz und Achtsamkeit. Das gern zugelassene „mind wandering“, d.h. den Geist schweifen zu lassen und vom körperlichen Geschehen im Hier und Jetzt abzukoppeln, war nicht möglich. Ganz im Sinne der ZEN-Weisheit: „wenn Du gehst, dann gehst Du; wenn Du isst, dann isst Du; wenn Du schläfst, dann schläfst Du“. Diese für mich ungewohnte, geistige (Dauer-)Wachheit hat mich bis zum Ende der Wanderung völlig ermattet.

Fazit 14 Tage barfuss

Ich habe mich nicht verletzt, keine Schnittwunden, Blasen, Druckstellen o.ä. zugezogen! Meine Fusssohlen haben sich schnell und effektiv angepasst.

Meine Füsse haben sich in dieser kurzen Zeitspanne sehr verändert. Die Zehen haben sich, nach einer Periode von scheinbarem Stillstand, wiederum deutlich sichtbar gelängt, siehe das update im August 2019. Der Fussrücken sieht stark und dynamisch aus.
Der Unterschenkel, insbesondere des linken Beines, hat sich über das Sprunggelenk orientiert, sodass das Fussgewölbe bei Belastung nicht mehr (so stark) einbricht.

Wunderbar und grandios.